Sexuelle Belästigung von Frauen und Mädchen im Karate
Sexuelle Belästigung ist sicher ein ebenso unbeliebtes Thema im Karate wie sexueller Missbrauch.
Zunächst einmal gilt es, die sexuelle Belästigung von Frauen vom sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen zu unterscheiden. Während es sich beim sexuellen Missbrauch um eine Straftat handelt, fällt die sexuelle Belästigung von Frauen und Mädchen ab einer gewissen Altersgrenze strafrechtlich nicht in der gleichen Weise ins Gewicht. Leider wird sie deshalb vielfach als Kavaliersdelikt gehandelt, obwohl es sich um eine üble Grenzverletzung handelt. Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass es hier keine klare Unterscheidung geben kann. So kann derselbe Täter einmal eine älter aussehende 12-Jährige und ein anderes Mal eine jünger aussehende 18-Jährige belästigen. Der gesetzliche Rahmen ist anders, das Verhalten gleichermaßen unerwünscht.
Im Arbeitsleben stört sexuelle Belästigung nachhaltig das Betriebsklima und die reibungslosen dienstlichen Abläufe. Da sie deshalb zu dienstrechtlichen Folgen führen kann, wurde sie dort genau beschrieben. Bei der sexuellen Belästigung handelt es sich um einseitige und meist unerwartete Annäherungen, die nicht auf gegenseitigem Einverständnis beruhen. Dazu gehören beispielsweise:
• unerwünschtes Betätscheln, Berühren, Befingern,
• anzügliche oder herablassend-sexuell gefärbte Sprüche,
• Voyeurismus, „Spannen“
• obszöne oder kompromittierende Aufforderungen,
• Aufforderung zu sexuellen Handlungen,
• jegliches Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnisses.
In einer Aufzählung wie dieser sind die Eigenschaftswörter besonders wichtig: unerwünscht, anzüglich, obszön, kompromittierend, usw. Ein legitimer Flirt zwischen zwei Menschen hat nichts mit Belästigung zu tun, denn bei der Belästigung geht es nicht um Sinnlichkeit oder Erotik, sondern um einseitige Machtausübung, also um das egoistische Ausnutzen von (hierarchischen) Beziehungen, „Gelegenheiten“ und um die Verletzung der Grenzen eines anderen Menschen. Zunächst geht es darum, diese Form der Grenzüberschreitung zu erkennen. Sie hat etwas mit Respektlosigkeit zu tun.
Im Karate wird gerade der Begriff „Respekt“ groß geschrieben. Der gegenseitige Respekt ist wichtig, denn im Karate sind Autorität und körperlich-technische Überlegenheit wichtige Faktoren. Gäbe es die dem Karate eigene Ethik nicht, und hier insbesondere die gegenseitige Achtung, dann wäre Karate – außer einer Sportart unter vielen – schlicht eine Waffe. Es wiegt daher besonders schwer, wenn ein Schwarzgurt und Lehrer die Grenzen anderer Menschen nicht achtet, insbesondere dann, wenn ihm diese körperlich unterlegen und zudem im Vereinsgefüge hierarchisch untergeordnet sind.
Hinzu kommt, dass der Frauenanteil im Karate mit der Höhe des Rangs niedriger wird. Je höher der Dangrad im DKV, umso weniger Frauen sind prozentual darunter. Deshalb ist Karate ein nach wie vor sehr männlich dominierter Sport. Mancherorts mag dies zu einer gewissen Machokultur führen. Solange das nicht grenzüberschreitend wird, handelt es sich nur um
eine sport- und frauenpolitisch offene Frage. Wenn jedoch Grenzen überschritten werden, dann gibt es ein Problem. Anzügliche oder sexistische Sprüche, Belästigung von Karateschülerinnen in der Freizeit oder im Rahmenprogramm des Vereins, Pornobilder in Karate-Mailinglisten, überflüssiges Betatschen oder joviales Auf-den-Hintern-Klatschen beim Training, einseitige sexuelle Aufforderungen, das Ausnutzen von Machtpositionen aller Art … all das gehört einfach nicht ins Karate. Insbesondere ein Karatelehrer sollte sich seiner Position bewusst sein – und dazu gehört auch, dass man als erwachsener und erfahrener Mensch nicht jede Gelegenheit wahrnimmt, die sich einem bietet, etwa durch ein junges Mädchen, das einen anhimmelt wie einen Popstar; das gilt auch dann, wenn das Mädchen schon 16 ist.
Ähnlich wie im Falle des Missbrauchs findet sexuelle Belästigung keinesfalls nur im Dojo während des Unterrichts statt, sondern besonders im Umfeld des Dojos, etwa unter Ausnutzung der im Dojo entstandenen Beziehungsstrukturen. Da bietet beispielsweise ein Trainer einer Jugendlichen an, sie schnell nach Hause zu fahren und versucht dann unterwegs, sie zu betätscheln. Die meisten Belästiger brauchen sehr deutlichen Widerspruch, bevor sie aufhören – wenn sie aufhören, und viele Frauen haben nicht sofort den Mut, sich entschieden und angemessen zu wehren, insbesondere, wenn sie von der Belästigung überrascht werden (was meist der Fall ist). In der peinlichen Situation finden sie nicht die Worte, sich sofort und klar gegen die Grenzverletzung zu wehren: „Lass das! Was fällt dir denn ein?! Ich will sofort aussteigen!“
Natürlich gibt es auch die bekannten Formen der „unauffälligen“ Belästigung während des Trainings selbst, z.B. überflüssige, scheinbar zufällige Berührungen an Körperstellen, die nicht geeignet sind, um Stand oder Haltung zu korrigieren. Man muss beispielsweise nicht zwischen den Beinen durchfassen, um die Beugung eines Knies zu korrigieren. Auch hier fällt es den Frauen oft schwer, sich gegen den Trainer in seiner Autoritätsstellung zu wehren.
Man kann sich leicht vorstellen, welche Auswirkungen Belästigungen im Dojo und in seinem Umfeld auf das Selbstbewusstsein von Frauen haben. Dies ist besonders schade angesichts der Tatsache, dass viele Frauen mit Karate beginnen, weil sie selbstsicherer und wehrhafter werden möchten.
Die Möglichkeiten insbesondere von jüngeren Frauen, ein solches Problem selbst aus der Welt zu schaffen, sind leider begrenzt. Nach dem Motto „Selbst ist die Frau“ können, dürfen und sollen sie sich mit klaren Worten gegen solche Übergriffe wehren:
• „Das will ich nicht!“
• „Nimm sofort deine Hand da weg!“
• „Halt an, ich will sofort aussteigen!“
• „Ich will nicht über Sex-Themen reden, tschüss!“
Nur selten wird eine einzige Frau belästigt. Oft finden sich noch andere, die ähnliche Erfahrungen mit demselben Mann gemacht haben. Wenn mehrere Frauen betroffen sind, ist die einzelne nicht ganz so machtlos, und gemeinsam wird ihnen leichter Glauben geschenkt. Selbstverständlich haben Frauen immer das Recht, sich über übles Verhalten bei geeigneten Stellen zu beschweren.
Manchmal ziehen sie aber auch persönlich die Konsequenzen und verlassen den Verein, oder hören auf Karate zu betreiben, insbesondere, wenn eine Beschwerde nichts bewirkt. Es lohnt sich nicht immer, gegen festgefahrene Strukturen zu kämpfen und dafür womöglich noch als Nestbeschmutzerin dazustehen. Anders als im Job hängt von der Freizeitbetätigung, egal wie gut sie einem sonst gefällt, nicht die finanzielle und karrieretechnische Existenz ab. Wenn sich das Karate für eine Frau als Falle statt als Förderung erweist, wird sie es oft vorziehen, ihre Freizeit mit angenehmeren Leuten in sinnvollerer Weise zu verbringen. Der Imageschaden für das Karate oder für einen Verein, der hieraus entstehen kann, sollte nicht unterschätzt werden.
Der Dojo- bzw. Vereinsvorstand hat die Möglichkeiten, im Vorfeld Problemen durch sexuelle Belästigung vorzubeugen. Trainer und Trainerinnen können sich vor der Übernahme einer Trainingsgruppe schriftlich auf einen Ehrenkodex verpflichten. Der Vorstand kann und sollte darauf achten, dass dieser eingehalten wird und bei Nichteinhaltung entsprechende Maßnahmen ergreifen. Zusätzlich werden gelegentlich ein paar klare Worte hilfreich sein.
Einer Frauenwartin werden Belästigungen eher zugetragen als männlichen Vorständen, deshalb sollte ein Verein eine haben. Sie muss ihre Aufgabe ernst nehmen, vor allem aber muss sie die Möglichkeit haben etwas an der Situation zu ändern und dabei vor persönlichen Nachteilen geschützt sein.
Den Frauen selbst ist zu empfehlen, es nicht zu sehr mit dem Autoritätsgedanken im Karate zu übertreiben. Sie sollten sich stets des eigenen Werts und der eigenen Rechte bewusst zu sein und mit entsprechendem Selbstbewusstsein trainieren. Als erwachsene Frau mit Gelbgurt ist man vielleicht „Karateschülerin“, aber deswegen muss man sich noch lange nicht wie früher auf der Schulbank fühlen und man muss sich auch keine herabwürdigende Behandlung gefallen lassen. Die Hierarchie gehört zum Karate zwar dazu, weil unterschiedliche Leute unterschiedlich viel Karate „können“, aber der Stand des Einzelnen in der Hierarchie ist keine Garantie für eine entsprechende ethische Entwicklung – übrigens ebenso wenig wie im Berufsleben. Ethik ist im Karate zwar nötig, aber anders als den technischen Stand eines Karatekas kann man sie nicht Punkt für Punkt abprüfen. Geprüft werden könnte höchstens das theoretische Wissen, nicht aber die innere Überzeugung und die Bereitschaft, sie zu leben. Deshalb ist es wichtig, dass eine Frau ihrer eigenen Wahrnehmung traut. Ihre eigenen Grenzen kennt jede Frau nur selbst. Vom Erkennen der Situation ist es nur ein kleiner Schritt zu einer sofortigen klaren Abgrenzung und zur Gegenwehr, die vom deutlichen Protest bis hin zur Beschwerde beim Vereinsvorstand und anderen geeigneten Stellen oder auch zur Anzeige (etwa bei sexueller Nötigung) reichen kann.
Karate ist ein durchaus geeigneter Weg um neben einem guten Zuki oder Keri auch die Fähigkeit zum Nein-Sagen, zur persönlichen Grenzziehung, zur Selbstbehauptung und zur freien Entscheidung zu üben, ganz unabhängig von der Schattierung des Gürtels. Dies sind nicht nur selbstverständliche Inhalte jeder Selbstverteidigung, sondern Inhalte, die Frauen helfen, im regelmäßigen Training den Kampfgeist zu entwickeln, der auf dem Selbstvertrauen beruht.
Ingrid Coughlan, MA
Kommunikationswirtin
Frauenwartin eines Karatevereins
_____________________________________________________________________________________________________
Sexueller Missbrauch im Karate:
Informationen und Richtlinien zur Prävention und zum Umgang mit Verdachtsfällen
Hintergrund
• In den vergangenen Jahren ist das zuvor oft tabuisierte und totgeschwiegene Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen zunehmend ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Fachleute haben sich eingehend mit dem Themenbereich beschäftigt und die Gesellschaft ist für diese Problematiken stärker sensibilisiert worden. Teilweise sind schockierende Fälle durch die Medien gegangen. Auch der Sportbereich ist mehrfach von solchen Fällen betroffen gewesen. Das gilt auch für Karate – in mehreren Landesverbänden, darunter auch im KVN, sind Fälle von sexuellem Missbrauch zu beklagen gewesen.
• Der Sportbereich bietet pädophil bzw. ephebophil1 veranlagten Menschen leider viele Gelegenheiten, ihre Neigungen auszuleben. Deswegen finden sich vermutlich mehr Menschen mit solchen Neigungen in Trainerpositionen als im Durchschnitt der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass wir zukünftig auf allen Ebenen des Karatesports mit diesem Problem konfrontiert werden.
• Bisher scheint es in keinem der hiesigen Karateverbände detaillierte Handhabungshilfen für den Umgang mit Missbrauchs- bzw. Verdachtsfällen zu geben. Anscheinend gilt das gleiche für andere Sportverbände, mit Ausnahme des DLRG. Dies muss dazu führen, dass von Fall zu Fall unterschiedlich vorgegangen wird. Es gibt keine einheitliche Praxis.
• Dies wiederum führt zu gegenseitigen Vorwürfen und zur Selbstzerfleischung innerhalb die Vereine und Verbände, weil sich der eine nicht mit der Praxis des anderen identifizieren kann. Gleichzeitig muss es zwangsläufig zu Fehlentscheidungen führen.
• Fazit: Es müssen einheitliche Richtlinien für den Umgang mit entsprechenden Vorkommnissen sowie mit Verdachtsfällen her. Es gibt z.Z. für den KVN nur die Möglichkeit, solche Richtlinien in Pionierarbeit selbst zu erstellen.
Bisherige Maßnahmen
• Vor dem oben beschriebenen Hintergrund hat der Präsident des KVN, Dieter Mansky, eine Anregung aus der Mitgliedschaft aufgegriffen und eine Ethikkommission eingerichtet, die damit beauftragt wurde, solche Richtlinien zu erarbeiten. Mitglieder dieses Gremiums sind z.Z. Ingrid Coughlan (Frauenwartin eines Vereins), Dr. John G. (Jack) Coughlan (Psychologe und Psychotherapeut) sowie Lutz Fischer (Richter am Landgericht).
• Als erste Maßnahme wurde beschlossen, eine Lehreinheit zu dieser Thematik in die Fachübungsleiter-Lehrgänge aufzunehmen. Die Überlegung dabei war, dass es besonders sinnvoll wäre, den vor Ort Verantwortlichen in den Vereinen eine gewisse Kompetenz im Umgang mit dieser Problematik zu vermitteln. Dieser Vorschlag ist bereits umgesetzt worden. Im Rahmen des Lehrgangs über Kindertraining am 18. Juni
1 Erwachsene, die sich zu Jugendlichen – im Gegensatz zu Kindern – sexuell hingezogen fühlen.
2005 sowie des Fachübungsleiter-Lehrgangs im August 2005 wurden entsprechende Einheiten eingebaut. Die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren positiv. Solche Maßnahmen sollen auch im Zukunft fester Bestandteil der entsprechenden Lehrgänge werden.
• Weiterhin wurde entschieden, eine schriftliche Handreichung in Form von Richtlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch im Verband zu erarbeiten. Diese Richtlinien können auch den Vereinen vor Ort als Leitlinien dienen.
• Zusätzlich sollen Leitlinien für den Umgang mit sexueller Belästigung von Frauen durch Männer erarbeitet werden.
Richtlinien
Im Folgenden sind die Richtlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch aufgeführt.
1. Formen des Missbrauchs
Während allgemein davon ausgegangen wird, dass Mädchen sehr viel häufiger als Jungen Opfer von sexuellem Missbrauch werden, gilt dies wahrscheinlich nicht für den Sportbereich. Dies hat mit der Täterstruktur zu tun. Mädchen werden vor allem im näheren sozialen Umfeld missbraucht. Täter sind meist Verwandte oder Freunde der Familie. Ein Täter missbraucht planmäßig und über längere Zeit das gleiche Kind. Er missbraucht wenige Opfer, diese jedoch meist sehr häufig.
Jungen werden eher in Gruppensituationen Opfer pädophil veranlagter Männer. Typische Beispiele sind Kindertagesstätten, kirchliche Gruppen oder eben Sportvereine. Dabei missbraucht ein Täter meist eine Vielzahl kindlicher Opfer. In Fachkreisen wurden mehrere Fälle beschrieben, in denen alle männlichen Kinder in einer Einrichtung Opfer eines einzigen Täters geworden sind. Der Sport bietet sich also für homosexuell-pädophil veranlagte Täter an. Dies heißt aber nicht, dass für Mädchen keine Gefahr von einem gut befreundeten Trainer ausgehen kann! Im Gegenteil, der Trainer kann sehr wohl die Rolle des missbrauchenden Familienfreundes einnehmen. Worum es hier geht ist die besondere Gefährdung von Jungen im Bereich des Sports zu erkennen und entsprechend vorzubeugen.
Der Missbrauch Minderjähriger kann viele Formen annehmen. Dazu zählen:
• Besitz von Kinderpornografie
• Anstößige Bemerkungen gegenüber Kindern
• Anleitung der Kinder, sich entsprechend zu äußern
• Vorführung pornografischen Materials
• Verleitung oder Nötigung zur Beobachtung sexueller Aktivitäten
• Produktion von Kinderpornografie
• Abtasten des Körpers, besonders der erogenen Zonen
• Sich am Körper reiben
• Verleiten oder Nötigung zu Zungenküssen
• Sexuelle Stimulierung
• Oraler, vaginaler oder analer Verkehr
• Vergewaltigung
2. Präventive Maßnahmen
Missbrauch erfolgt in den seltensten Fällen überfallartig. Vielmehr baut der Täter allmählich eine Beziehung zum zukünftigen Opfer auf und verstrickt es in ein Verhältnis, aus dem es sich in der Regel nicht ohne fremde Hilfe befreien kann. Um hier vorzubeugen sind die folgenden Punkte möglichst grundsätzlich zu vermeiden:
• exklusive Freundschaften zwischen Trainern und einzelnen Kindern
• teure oder häufige Geschenke an Minderjährige
• Geheimhaltungsdruck bezüglich der Geschenke
• überhaupt jegliches Geheimhaltungsgehabe, das von Minderjährigen verlangt wird!
Missbrauch im Verein oder im Verband ist im Rahmen der Trainingseinheiten selbst am wenigsten zu erwarten. Es kann zwar vorkommen, dass anzügliche Bemerkungen fallen oder dass unangebrachte Berührungen stattfinden, die größere Gefahr besteht jedoch im Rand- bzw. Rahmenbereich des Trainings. Gemeint sind hier Freizeiten, Lehrgänge, Kadertraining, ausgelassene Feiern und ähnliche vereins- und sporttypische Aktivitäten, vor allem wenn solche Gelegenheiten mit Übernachtungen verbunden sind. Präventive Maßnahmen sollten schwerpunktmäßig bei diesen Gelegenheiten ansetzen. Dabei ist zu beachten:
• Grundsätzlich sollen bei allen Maßnahmen mindestens zwei erwachsene Personen als Betreuer eingesetzt werden.
• Eine geschlechtsgemischte Betreuung ist nicht nur bei geschlechtsgemischten, sondern auch bei der Betreuung reiner Jungengruppen wünschenswert.
• Die ehrenamtliche Beteiligung von Eltern an der Betreuung ist besonders wünschenswert und sollte nach Möglichkeit gefördert werden.
• Im Umgang mit Alkohol ist unbedingt auf den gesetzlichen Jugendschutz zu achten.
• Übernachtungen in den Privatwohnungen der Trainer sollen im Normalfall vermieden werden. Sollte es im Ausnahmefall aus triftigen und transparent gemachten Gründen dennoch dazu kommen, ist im jedem Fall darauf zu achten, dass der Trainer sich nicht allein mit einem oder mehreren Schutzbefohlenen in der Privatwohnung aufhält. Es müssen immer mindestens zwei erwachsene Personen präsent sein. Es muss auch sicher gestellt werden, dass jedes Kind/ jeder Jugendliche seine eigene Schlafstatt hat.
• Bei Übernachtungen in der Halle bzw. in Zelten oder anderen Unterkünften ist ein angemessener Abstand zwischen Erwachsenen und Minderjährigen einzuhalten.
• Filme, Computerspiele oder Druckmaterial mit erotischen oder pornografischen Inhalten aller Art dürfen im Rahmen von Veranstaltungen, an denen Kinder oder Jugendliche teilnehmen, nicht mitgeführt werden oder erworben werden.
• Minderjährige dürfen (ebenso wie Erwachsene!) beim An- oder Ausziehen, im unbekleideten Zustand, während des Schlafes, der Körperreinigung etc. nicht fotografiert oder gefilmt werden.
Der KVN-Vorstand sowie die Vereinsvorstände vor Ort sollen, soweit praktisch möglich, die persönliche Eignung von Trainern und anderen Funktionsträgern überprüfen. Entsprechend der Regelung nach §72a KJHG für die Jugendhilfe gehört zu dieser gebotenen Überprüfung, dass die Vorstände keine Personen einsetzen, die rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 181a, 182 bis 184e oder nach dem § 225 des Strafgesetzbuches verurteilt worden sind. Zu diesem Zweck sollen sich die Vorstände vor dem ersten Einsatz und später in regelmäßigen Abständen von den für Trainings- und Vereinszwecke
eingesetzten Personen ein Führungszeugnis nach dem §30 Abs.5 des Bundeszentralregistergesetzes vorlegen lassen.
Pubertierende junge Menschen haben stärker ausgeprägte Schamgefühle als Erwachsene. Dies zeigt sich unter anderem in Hemmungen beim gemeinsamen Duschen, Umziehen usw. Solche Schamgefühle sollen respektiert werden. Dies bedeutet:
• Geäußerte oder gezeigte Schamgefühle sollen nicht abschätzig kommentiert werden.
• Ein Duschzwang soll weder direkt noch indirekt praktiziert werden.
• Getrennt geschlechtliche Umkleide- und Waschräume müssen vorhanden und entsprechend gekennzeichnet sein. Betreuer haben darauf zu achten, dass die Trennung allgemein respektiert wird.
Auch Jugendliche können selbst zu Tätern werden, indem sie Kinder missbrauchen. Betreuer sollten hierfür sensibilisiert sein und bei Freizeiten und sonstigen Veranstaltungen dafür Sorge tragen, dass die oben für Erwachsene beschriebenen Vorsichtsmaßnahmen auch zur Schutz von Kindern vor eventuellen Übergriffen jugendlicher Teilnehmer zur Geltung kommen.
3. Umgang mit Verdacht
Der Umgang mit einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch ist immer heikel und stellt häufig eine Überforderung für die betroffenen Verbands- oder Vereinsverantwortlichen dar. Einerseits soll kein Schaden durch einen falschen Verdacht entstehen, andererseits müssen eventuelle Opfer schnell und wirksam geschützt werden sowie Hilfe erhalten. Überforderung kann dazu führen, dass entweder aus Unsicherheit gar nicht oder aus Unkenntnis falsch reagiert wird und so das Gegenteil dessen erreicht wird, was man im Guten beabsichtigt hat. Unkluge Konfrontationen des vermeintlichen oder wirklichen Täters können beispielsweise dazu führen, dass dieser vorgewarnt ist und so seine ansonsten sichere Überführung noch verhindern kann.
• Es ist unbedingt nötig, dass die Verantwortlichen die Grenzen ihrer persönlichen Kompetenz in diesen Angelegenheiten kennen. Der gesunde Menschenverstand reicht nicht aus. Im Verdachtsfall ist es deswegen die erste Pflicht, fachkompetenten Rat einzuholen statt eigenmächtig zu handeln.
• Für den Verband ist ein fachkompetenter Beauftragter für Fälle des sexuellen Missbrauchs zu ernennen. Dieser Beauftragte ist bei jedem Verdachtsfall einzuschalten und hat entsprechend aktiv zu werden.
• Bei Schwierigkeiten vor Ort kann ein Verein sich ebenfalls an den fachkompetenten Beauftragten des KVN wenden.
• Zusätzlich gibt es für die Vereine vor Ort in jeder Großstadt oder jedem Landkreis eine Erziehungsberatungsstelle, an die man sich vertraulich und kostenlos mit einer entsprechenden Problematik wenden kann. Im Normalfall können solche Beratungsstellen die nötige Unterstützung selbst anbieten. Wo dies nicht zutrifft, können sie an eine geeignete Stelle verweisen. Zusätzlich zu den Erziehungsberatungsstellen gibt es vielerorts Anlaufstellen, die extra für den Bereich des sexuellen Missbrauchs eingerichtet wurden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich manche dieser Stellen vorwiegend oder ausschließlich um die Belange weiblicher Opfer kümmern. Für den Fall, dass es sich um männliche Opfer handelt, sind solche Stellen nicht oder nur bedingt geeignet.
• Auf eigenmächtige detektivische Aktivitäten soll verzichtet werden.
• Der Verbands- bzw. Vereinsvorsitzende soll über alle Verdachtsfälle frühzeitig unterrichtet werden. Er übernimmt die Verantwortung für die Aufklärung und geht allen Verdachtsfällen mit entsprechender fachlicher Unterstützung nach.
• Steht der Vorsitzende selbst unter Verdacht, so sind die anderen Vorstandsmitglieder verpflichtet, diese Aufgabe zu übernehmen.
4. Wenn der Verdacht sich erhärtet
Falls ein Verdacht sich erhärtet, ist im Rahmen der gültigen Rechtsnormen- und Vorschriften darauf zu reagieren. Der Missbrauch kann zivil- und vereinsrechtliche, aber natürlich auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
• Impulse zur Selbstjustiz sind, obwohl psychologisch verständlich, immer kontraproduktiv und sollten in keinem Fall zugelassen werden.
• Vereinsrechtliche Konsequenzen setzen voraus, dass die Möglichkeit zur Ziehung solcher Konsequenzen in der Satzung verankert ist. Der KVN hat aus diesem Grund Satzungsänderungen auf der Landesebene vorgenommen. Diese haben sich bereits in der Praxis bewährt. Entsprechende Satzungsänderungen auf der Vereinsebene sind zu empfehlen. So soll bei konkretem Verdacht juristisch einwandfrei ermöglicht werden, dass alle Ämter des Verdächtigten bis zur Aufklärung ruhen. Bei erwiesenem Missbrauch ist der Täter aller Ämter zu entheben und der Vereinsausschluss wirksam zu beschließen.
• Verstöße gegen die hier aufgeführten Richtlinien sollten geahndet werden, auch wenn kein Missbrauch erfolgt ist, sondern lediglich die vorgesehenen Präventiv- und Schutzmaßnahmen missachtet worden sind.
• Pädophile Straftäter sind sehr häufig Wiederholungstäter. Aus diesem Grund sollten Personen, die in irgend einer Form des sexuellen Missbrauchs schuldig geworden sind, auf Dauer von allen Funktionen im Bereich des Karate ausgeschlossen sein (vgl. Überprüfung der persönlichen Eignung von Trainern und anderen Funktionsträgern, siehe oben).
• Strafrechtliche Konsequenzen sind nicht allein Sache des betroffenen Verbands oder des Vereins. Vielmehr sollen Strafanzeigen nach gründlicher Überlegung mit dem Einverständnis des Opfers, der betroffenen Eltern und Erziehungsberechtigten und ihren medizinisch-psychologischen Beratern erfolgen. Strafprozesse werden von den Opfern sehr häufig als extrem belastend erlebt und sind aus diesem Grund aus subjektiver Sicht nicht immer als wünschenswert einzustufen.
• Verband und Vereine stehen in der Verantwortung dem Opfer zu helfen und es zu unterstützen. Soweit erwünscht können Maßnahmen wie die Vermittlung an Fachstellen, Begleitung bei einer eventuellen Anzeigeerstattung, Reintegration ins Vereinsleben usw. zur Verarbeitung des erlittenen Schadens beitragen.
Dr. John Gerard (Jack) Coughlan
Diplom-Psychologe
Psychologischer Psychotherapeut
Supervisor BDP