Ein Großmeister, ein Weltmeister und ein Experte für Deeskalation


Ein Großmeister, ein Weltmeister und ein Experte für Deeskalation

Bereits zum siebten Mal richtete der TSV Gnarrenburg seinen „Anwenderlehrgang“ aus. Der Name war wie auch in den letzten Jahren wieder Programm, ging es doch bei diesem stiloffenen Lehrgang vor allem darum einen Blick über den Tellerrand zu wagen, und sich mit der Kampfkunst Karate jenseits der rein technischen Ausführung, zu beschäftigen. Vor allem mit Werner Buddrus, 7. Dan und dem dreifachen Kobudo Weltmeister Dr. Hagen Walter, 4. Dan als Hauptreferenten waren wieder zwei erstklassige Trainer am Start. Die Themen des Tages reichten von Kobudo, Kyusho-Jitsu und Selbstverteidigung bis hin zu Faszientraining und Budospielen für den Karate Nachwuchs. Und so kamen am Ende ca. 60 Teilnehmer unterschiedlicher Stilrichtungen vor allem aus dem nördlichen Niedersachsen, aber auch aus Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein in die kleine Teufelsmoormetropole Gnarrenburg, um gemeinsam einen  faszinierenden und lehrreichen Kampfkunst-Tag zu erleben.

Eine besondere Ehre war es mit Dr. Hagen Walter, 4. DAN Shorin Ryu, 4. Dan Ryukyu Kobudo Tesshinkan, einen der führenden Kobudo Experten Deutschlands in Gnarrenburg begrüßen zu können. Der sympathische Astrophysiker und Kobudo-Buchautor aus Jena konnte im Sommer dieses Jahres bereits zu dritten Mal das Traditional Kobudo World Tournament in Okinawa gewinnen. Das bedeutet im Klartext: Dreifacher Weltmeister! Wow! Hagen war bereits zum zweiten Mal in Gnarrenburg und gab in drei Trainingseinheiten eine Einführung mit dem Bo, dem japanischen Langstock. Er begann zunächst mit Kihon, ging dann über zu Kata und endete mit Partnerübungen.  So wurde den Teilnehmern schnell klar: Worauf es im Karate ankommt, darauf kommt es Kobudo erst recht an! Der korrekte Stand, Hüfteinsatz, Hikite und Kime wurden von Hagen meisterhaft demonstriert! Und wo diese traditionelle Waffe bei seinen Techniken ein vernehmliches Pfeifen in der Luft erzeugte, waren zumindest die Anfänger schon froh darüber, wenn ihnen dass Trainingsgerät versehentlich aus den Händen fiel. Der Bo verzeiht hier eben keine Schludrigkeit, und gerade als Karateka konnte man erahnen, wie viel Übung und Training der Umgang mit ihm erfordert! Die etwas Fortgeschrittenen Teilnehmer wiederum freuten sich über die Gelegenheit, sich in den Trainingspausen mit konkreten Fragen an Hagen wenden zu können, die dieser dann auch bereitwillig beantwortete.

Werner Buddrus, 7. DAN  Karate sowie 3.DAN Kyusho-Jitsu kennt man nicht nur von vielen Lehrgängen, sondern besonders auch in Niedersachsen durch sein langjähriges Wirken als Kampfrichter. In diesem Jahr beendete er diese Tätigkeit und wurde vom KVN mit der Goldenen Ehrennadel geehrt! Er betreibt nun seit 49 (!) Jahren Karate und gehörte zu den engsten Schülern des legendären Teruo Kono Hanshi. Werner ist ein Karate-Meister der sich sowohl im Wado Karate wie auch im Shotokan auskennt und im Kyusho-Jitsu sicherlich einer der Experten im DKV ist. Seine Trainingseinheiten begann er zunächst mit einem sehr praxisnahen Bunkai der Heian bzw. Pinan Godan unter besonderer Berücksichtigung der Nervenpunkte, wie sie im Kyusho-Jitsu gelehrt werden.  Dabei legte Werner auf einen simplen Aspekt wert: Was in der Praxis funktioniert, ist auch richtig, unabhängig von der jeweiligen Stilrichtung! Und von der Wirkung der „punktgenauen“ Techniken konnte sich jeder selbst überzeugen, zeigten diese am Partner doch eine erstaunliche Durchschlagskraft.

Nicht weniger interessant war dann anschließend Werners Trainingseinheit zum Thema Hebel. Wer sich als Karateka schon einmal näher mit diesem speziellen Aspekt der Selbstverteidigung beschäftigt hat weiß: Im Ernstfall ist die richtige Anwendung extrem schwierig! Werners Ansatz hierzu war durchaus ungewöhnlich. Seine Hebeltechniken zielten vor allem auf die kleinen Gelenke der Finger, wodurch Kraft und Größe des Gegners eine deutlich geringere Rolle spielen als beispielsweise bei größeren Extremitäten. Und wer Werner hier schon einmal erlebt hat weiß: Er versteht es, wie kein zweiter den Gegner mit einem blitzschnellen Griff zur Hand unter Kontrolle zu bringen.

Das dritte „große“ Thema dieses Tages war der Gewaltschutz. Hier gelang es dem TSV Gnarrenburg, ebenfalls bereits zum zweiten Mal, Olaf Seifert, 2. DAN SOK und Gewaltschutztrainer für Berufsgruppen, als Referenten zu gewinnen. Olaf ging es in seinen Trainingseinheiten weniger um die Vermittlung von klassischen SV Techniken, sondern vielmehr um den richtigen Umgang mit Gefahren und Aggressionen im Vorfeld. Seine Devise: „Wenn ich SV Techniken anwenden muss, habe ich im Vorfeld bereits einen Fehler gemacht!“ Olaf versuchte hier sowohl das Bewusstsein der Teilnehmer für Gefahrensituationen zu schärfen, als auch konkrete Verhaltensweisen zu vermitteln. Besonders wichtig war ihm hierbei, auf die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen hinzuweisen: Wer in sein Handy vertieft über die Straße läuft, hat seine Verantwortung für seine Sicherheit an seine Umgebung abgegeben- und macht sich selbst zum potenziellen Opfer. Anhand zahlreicher Beispiele und praktischer Übungen vermittelte Olaf die Wichtigkeit von Aufmerksamkeit, von Distanz und Raumgefühl aber auch einfache Kommunikationstechniken, um der Strategien eines Aggressors bereits im Ansatz entgegenzuwirken. Olaf wies immer wieder darauf hin, dass auch diese Art von „Techniken“ genauso trainiert werden müssten wie SV Techniken, denn: Im Augenblick der Gefahr funktionieren nur automatisierte Standard Routinen. Am Ende lies er es sich zur Freude der Teilnehmer dann aber doch nicht nehmen, noch einige SV Techniken zu demonstrieren, so das es dann noch einmal etwas „handfester“ zuging.

Abgerundet wurde dieser gelungene Kampfkunst-Tag durch die Trainingseinheiten von Jan Meinke, 3. DAN und Diplomsportlehrer sowie  der Gnarrenburger Kindertrainerin Yvonne Betke, 2. DAN. Während Jans launiges Motto zum Thema „Training mit der Faszienrolle“ lautete: „Wer hier keinen Schmerz verspürt hat keine Gefühle.“, begeisterte Yvonne, unterstütze von Cor Boer, den Karate Nachwuchs wieder mit tollen Budo-Spielen.

Der Gnarrenburger Anwenderlehrgang war wieder ein voller Erfolg und punktete nicht nur mit tollen Trainern und interessanten Inhalten, sondern auch mit viel Spaß und einem gelungenen Austausch zwischen den Stilrichtungen.

Sascha Ryll

TSV Gnarrenurg